Spiel: Soziales Medium, Bildungs- und Kulturgut

Vortrag zum 10 – jährigem Bestehen des gemeinnützigen Vereins Kassel spielt e.V

Drei Behauptungen beinhaltet dieser Titel, die ich gerne belegen möchte, um Vorurteile über den „Zeitvertreib Spiel“ zu beseitigen und damit auch den möglicherweise vorhanden Zweifel an der Sinnhaftigkeit unseres Vereinszwecks.

Sprüche wie eine empörte Entgegnung „Ich spiele nicht; ich habe Wichtigeres zu tun“ oder „Spielen ist Kinderkram“ oder das mittelalterliche „Der Teufel kann fangen der Seelen viel mit Karten- und mit Würfelspiel“ sollen hier für diese Vorurteile stehen.

Spiel als soziales Medium:

10 Jahre Kassel spielt bedeutet Engagement und viel ehrenamtliche Zusammenarbeit, um die vielen formalen Aufgaben zu erfüllen, die ein gemeinnütziger eingetragener Verein leisten muss.
10 Jahre Kassel spielt bedeutet aber auch, inhaltlich die Ziele und Aufgaben des Vereins mit Leben zu erfüllen.

Die 100 Mitglieder mit einer Altersverteilung, um die uns viele Vereine, die mit Überalterung zu kämpfen haben, beneiden, zeigen schon, wie richtig und gesellschaftlich akzeptiert die Ziele des Vereins sind.

Wir stellen Räumlichkeiten zur Verfügung, halten das Spielmaterial in Stand, erweitern ständig das Angebot und führen Spielaktionen durch, auch auf Bitten oder in Kooperation mit anderen sozialen Institutionen. Damit schaffen wir ein soziales Angebot für die Bürger dieser Stadt und des Landkreises.

Menschen aller Altersgruppen , unterschiedlicher Schichten und Herkunft, führen wir über das Medium Gesellschaftsspiel zusammen. Und dabei ergeben sich auch Gespräche, die über das Spierische hinaus gehen.

Unabhängig von Werbung, Spielehandel und Modeströmungen hat die Kasseler Bevölkerung durch unser umfangreiches Spieleangebot Gelegenheit, neue und alte Spiele kennen zu lernen, um zu sehen, was einem selbst gefällt und für den Freundeskreis oder die Familie geeignet erscheint.

In den 5 Tagen pro Woche, an denen der Spieletreff für die Öffentlichkeit zugängig ist, können sich Menschen treffen, die die gleichen Spiele wie man selbst liebt und die man sonst nicht kennen lernen würde.

Wir helfen auch, den Zugang zu neuen Spielen zu erleichtern, weil die Scheu vor dem Regelstudium eine große Hürde darstellt. Denn im Verein finden sich immer Mitspieler, die das jeweilige Spiel erklären können und das „learning by doing“ unterstützen. Besonders sichtbar wird das, wenn bei dem jährlich größten von uns veranstalteten Ereignis, dem Familienspieletag die Mitglieder mit ihren orangen „Erklärbär“ T-shirts die vielen hunderte Besucher in die Spiele einführen.

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Kürzlich habe ich die Klage eines älteren Ehepaars gehört, daß sie früher in der Familie immer gerne Gesellschaftsspiele gespielt haben. Aber seit die elektronischen Medien Einzug gehalten haben, Internet und Smartphone die „face to face“ Kommunikation ersetzt, habe es gemeinsame Spieleabende nicht mehr gegeben.
Ich sehe es deshalb als eine der Aufgaben des Vereins, der Vereinzelung der Menschen entgegen zu wirken und den Menschen Mut zu machen, im häuslichen Umfeld wieder Spielerunden mit Angehörigen und Freunden einzurichten.

Spiel als Bildungsangebot:

Aber das Spiel hat über den geselligen Aspekt hinaus, nämlich Menschen zusammen zu führen und soziale Isolierung zu durchbrechen, auch einen Bildungsaspekt:

Sich im Spiel freiwillig gemeinsam den für alle verbindlichen Regelungen zu unterwerfen verlangt einen sozialen Lernprozess, der auch für das Leben in der realen Gesellschaft wichtig ist.

Anhand von Spielekategorien möchte ich die Bildungsbereiche verdeutlichen:

  • Strategische und abstrakte Spiele fördern das logische Denken
  • Wirtschafts- und politische Spiele vereinfachen zwar reale Abläufe, machen aber Prinzipien deutlich  Monopoly als Synonym)
  • Kommunikative, kreative und Wort- und Sprachspiele fördern Sprachkompetenz, schöpferisches Denken und musische Fähigkeiten.
  • Das riesige Angebot von Lernspielen wird professionell vielfältig genutzt. Aber leider ist in diesem Bereich meist das „Spiel“ nur nominell vorhanden, sondern fühlt sich oft an wie harte Lernarbeit. In diesem Bereich ist die Freiheit desSpiels selten vorhanden und kommt deshalb auch hier im Verein kaum auf den Tisch.

 

Das Spiel als Kulturgut:

Schiller: „Der Mensch ist da nur ganz Mensch in seiner ursprünglichsten Bedeutung, wenn er spielt“

Zum Thema „Kulturgut Spiel“ soll ich mich kurz fassen. Deshalb will ich nicht damit anfangen, daß ich  über den ältesten Fund eines 6-seitigen Würfels in Mesopotamien vor 4000 Jahren berichte oder von den neusten Forschungsergebnissen über die Steinzeithöhlen – Malereien vor 10 000 Jahren, die ergeben haben, daß die berühmten Darstellungen von Handumrissen, die früher religiösen Riten zugeordnet wurden, in Wirklichkeit aus reiner Freude am Ausprobieren entstanden sind.

Unstrittig ist, daß „Spiel“ die Menschheit in seiner Entwicklung begleitet hat und genauso wie die anderen Kulturleistungen der Menschheit eine zunehmende Verfeinerung erfahren hat. Jede der Hochkulturen der Menschheit hat nicht nur ihre eigene Kunst oder Religion hervorgebracht, sondern auch Spiele. Beispiele dafür sind Go; Mahjong; Schach; Kalaha (Awari); Hneftafle.

Spiel ist keine Kinderei, sondern war in seiner hohen Kunstform immer ein Privileg der gebildeten Erwachsenen. Sie genossen die geistige Freiheit, die das kultivierte Spiel bietet.
Kultiviertes Spielen muss gelernt werden.

Ich will mit einer Szene beginnen, die Sie alle schon mal erlebt haben: Da wollen einige Menschen Zeit überbrücken und entscheiden sich für ein einfaches Spiel. Vielleicht ist der Gesprächsstoff ausgegangen oder die Kinder müssen für eine Übergangszeit beschäftigt werden:
Es wird ein Spiel vorgeschlagen.
Es handelt sich also eindeutig um „Spielerei“. Das ist etwas, was man nicht um der Sache wegen tut, sondern nebenher.

Und dann entsteht plötzlich ein Spannungsbogen, weil ein bestimmtes Würfelergebnis oder eine bestimmte Karte kommen müsste, um einen Erfolg zu bringen. Plötzlich sind die Spieler gebannt und feuern an, kommentieren und gehen mit.

Jetzt ist es zum richtigen „Spiel“ geworden. Die Spieler haben sich von der realen Welt abgelöst, bewegen sich mit all ihrer Energie (psychisch wie physisch) in diesem Spiel.

Hier erkennen wir die Kraft des Phänomens „Spiel“. Es holt uns heraus aus den Zwängen des realen Lebens. Es gibt uns eine Freiheit des Denkens und Handelns, die uns angstfrei auf den Erfolg hoffen lässt, aber auch bei Mißerfolg uns jederzeit die Möglichkeit des Wiederholens und Bessermachens und Lernen gibt.

Huizinga, ein holländischer Philosoph, hat in seinem Buch „Homo Ludens“ (der spielende Mensch) – was auch einen provozierenden Gegensatz zu den Begriffen „Homo Faber“ (der handwerkliche Mensch) oder „Homo Sapiens“ (der mit Vernunft begabte Mensch) darstellt – die These aufgestellt, daß nur durch die Fähigkeit des „spielerischen“ Verhaltens , also sanktionsfrei und unbelastet von lebensnotwendigen Zwängen Dinge ausprobieren zu können, der Mensch überhaupt befähigt wurde, Erkenntnisse zu gewinnen, die es ihm ermöglicht haben, sämtliche kulturelle Leistungen wie Technik, Mathematik, Musik, Theater, Literatur, aber auch Philosophie und Religion, zu schaffen und weiter zu entwickeln.

Deshalb nutzen wir auch das Verb „spielen“ in so vielen kulturellen Bereichen: Wenn ein Musikinstrument bedient wird, theatralische Darstellung geübt, beim Sport Übungen wie „hinter einem Ball her rennen“ trainiert werden.

Und in der Technik muss die Schraube ein wenig „Spiel“ haben, um zu funktionieren (d.h. Bewegungsfreiheit haben).

„Spiel“ entfaltet sich dann am besten, wenn es nicht instrumentalisiert wird. Das passiert aber oft wegen seiner positiven Nebenwirkungen:

„Konzentration“, „Regeln akzeptieren lernen“, „für Neues und Unerwartetes offen  sein“, „mit Frust und Enttäuschung umgehen zu lernen“, „sich freuen und emotional echt zu sein“, „über Alters-, kulturelle und gesellschaftliche Unterschiede hinaus sich im Spiel zusammen zu finden“.

Die Gefahr des Instrumentalisierens besteht besonders in der Pädagogik, wo oft Lerninhalte den freien Spielgedanken dominieren. Auch die ideologische Vereinnamung durch Themenwahl des Spiels stehen dem Spielgedanken entgegen..

Besonders die Vermarktung des Kulturguts „Spiel“, bei dem „um reales Geld spielen“ als Symbol für reale Macht und sorgenfreies Leben zur Sucht treiben kann (kommerzielle Pokerturniere, Schach um Geldpreis, Profi – Sport) zerstört das Phänomen „Spiel“ und macht es zum realen Lebensinhalt.

Deshalb rufe ich Euch auf, das Kulturgut Spiel in seiner ursprünglischen Form als zweck- und sanktionsfreien Handlungsraum in unserem Verein zu pflegen und auszuüben und in unserer Gesellschaft für das Spiel als Kulturgut einzutreten und ihm seinen ihm gebührenden Stellenwert zu verschaffen – neben Kunst , Schauspiel; Musik; Literatur.

Martin Ebel

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